Multisensorische Wahrnehmung & Handlung
(Marc Ernst)
Wir nehmen die Welt mit all unseren Sinnen wahr. Dazu gehören der Sehsinn, der Tastsinn und der Hörsinn. Diese multisensorische Information muss in unserem Gehirn zu einem kohärenten Abbild der Umwelt zusammengesetzt werden, um zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. Dieses Puzzlespiel der Sinne wurde in der Forschungsgruppe für Multisensorische Wahrnehmung und Handlung, in drei Forschungsfelder untergliedert, eingehend untersucht: Diese betreffen die "multisensorische Wahrnehmung", das "Wahrnehmen um zu Handeln", und das "perzeptuelle Lernen".
Jegliche menschliche Handlung erfordert das reibungslose Zusammenspiel aller Sinne. Ohne Wahrnehmung gäbe es keine Handlung und ohne Handlung gäbe es keine Wahrnehmung. Wir stehen daher auf dem Standpunkt, dass sensomotorisches Handeln (Greifen, Laufen, Werfen) und die multisensorische Wahrnehmung (Sehen, Hören, Fühlen) untrennbar miteinander verzahnt sind, und dass sie somit sinnvollerweise auch zusammen untersucht werden müssen. Des Weiteren sind wir überzeugt davon, dass menschliches Wahrnehmen und Handeln der Statistik der natürlichen Umgebung optimal angepasst ist und wenn sich die Umbebung verändert, wird sich auch unsere Wahrnehmung entsprechend anpassen.
Dieser Prozess der Adaptation und des perzeptuellen Lernens ist essenziell, um die Kosten möglichen Fehlverhaltens zu verringern. In der neuronalen Verarbeitung werden solche Statistiken mittels Wahrscheinlichkeitsverteilungen abgebildet. Wir folgen somit Hermann von Helmholtz in unserer Überzeugung, dass die menschliche Wahrnehmung ein Inferenzproblem darstellt, für das die sensorischen Informationen oft nicht ausreichend sind, um das Perzept eindeutig zu bestimmen. Daher müssen Vorwissen und Vorannahmen herangezogen werden, um den Inferenzprozess, basierend auf den ambigen sensorischen Informationen, entsprechend einzuschränken. Ein prinzipieller Ansatz die Kombination von Vorwissen mit sensorischer Information mathematisch und quantitativ zu beschreiben, bietet der Bayes’sche Ansatz - eine Form der Wahrscheinlichkeitstheorie. Wir nutzen diesen Bayes’schen Ansatz, um Modelle zu kreieren, die einem „idealen Beobachter“ entsprechen – Modelle also, die per Definition, die für eine bestimmte Handlung zur Verfügung stehende Information optimal ausnutzen. Diese Modelle können dann auf Roboter Plattformen implementiert werden, um so das menschliche Verhalten zu simulieren und die Modelle unter Realbedingungen zu verifizieren. Diese Modelle können dann als Maßstab zur quantitativen Bestimmung der menschlichen Wahrnehmungs-Handlungsleistung herangezogen werden. Für diesen Mensch-Modell Vergleich wird das menschliche Verhalten mittels psychophysikalischer Methoden unter dem Einsatz der Virtuellen Realität (VR) quantitativ untersucht. Die psychophysikalischen Methoden dienen dazu den Menschen bestmöglich zu charakterisieren und verhaltensrelevante Parameter zu erfassen. Die Techniken der Virtuellen Realität liefern dafür präzise Simulationen der natürlichen Umgebung mit einer Interaktivität, die notwendig ist, um menschliches Wahrnehmen und Handeln effektiv zu untersuchen. Heutige Systeme aus dem Bereich der Virtuellen Realität oder der Mensch-Maschine Schnittstellen sind jedoch häufig noch zu primitiv, um effektiv für Wahrnehmungsexperimente eingesetzt werden zu können. Daher beteiligten wir uns auch aktiv an der Erforschung, Weiterentwicklung und der Evaluierung entsprechender technischer Systeme. Diese Forschung wurde vorrangig aus Mitteln europäischer Projekte gefördert. So hatten beispielsweise die EU Projekte Touch-HapSys und Immersence den Fokus neuartige haptische Interaktionssysteme hervorzubringen und zu erforschen, während das EU Projekt Cyberwalk das Ziel hatte, eine omnidirektionale Laufplattform zu entwickeln, die uneingeschränktes Laufen in virtuellen Umgebungen ermöglicht. Die Erforschung des Menschen und die Entwicklung technischer Systeme hierfür bedingen sich damit gegenseitig in idealer Art und Weise.