„Was im Labor gemacht wird, steht oft in Kontrast zur echten Welt“

27. Mai 2024

 „Licht für Gesundheit und Wohlbefinden“ war das Motto, unter dem Prof. Dr. Manuel Spitschan (Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik/TU München) vom 14. bis 16. April 2024 einen „Ladenburger Diskurs“ mit insgesamt 20 internationalen Expert*innen leitete. Dieses Tagungsformat der Daimler und Benz Stiftung bietet Raum für die Reflexion wissenschaftlich und gesellschaftlich relevanter Forschungsthemen. Wir haben mit Spitschan über Lichtexposition, ihre Folgen für Gesundheit und Gesellschaft, Forschungsdesiderate und die Bedeutung gelungener Wissenschaftskommunikation gesprochen. 

Der Ladenburger Diskurs zum Thema „Licht für Gesundheit und Wohlbefinden“ hat Forschende unterschiedlicher Forschungsgebiete versammelt. Worum ging es bei diesem interdisziplinären Austausch?

Wir wissen aus einer Reihe klinischer Studien in den Neurowissenschaften: Licht wirkt auf den Menschen. Zum Beispiel unterdrückt Licht am Abend die Melatoninausschüttung und stellt die innere Uhr. Solche Effekte sind sehr gut dokumentiert. Vor Kurzem, im Jahr 2022, hat dieses Wissen Eingang in die ersten internationalen Konsensempfehlungen zu Lichtexposition gefunden. Aber da eröffnen sich natürlich einige Fragen: Stimmen diese empfohlenen Werte? Was im Labor gemacht wird, steht ja oftmals in starkem Kontrast zu dem, was wir in der echten Welt beobachten – und den Lichtbedingungen, denen wir uns aussetzen.

Worin genau besteht diese Diskrepanz?

Im Labor kann ich Effekte isolieren und gezielt eine Wirkung rauskitzeln. Aber unter natürlichen Bedingungen – also Bedingungen, unter denen der Mensch in der echten Welt lebt – ist unsere Physiologie nicht so isoliert wie im Labor. Die Lichtexposition ist unkontrolliert, und auch andere Faktoren beeinflussen die innere Uhr; zum Beispiel findet die Aufnahme von Essen zu unterschiedlichen Zeiten statt. Da stellt sich dann natürlich die Frage: Wie weit sind wir, wenn es darum geht, unser Wissen tatsächlich anwenden zu können – zum Beispiel, um Richtlinien oder auch Gesetze zu schaffen. Genau diese Diskussion sollte der Ladenburger Diskurs anstoßen: Was fehlt? Wo sind wir als Wissenschaftler gefordert?

Wissen wir schon ausreichend Bescheid über die Lichtbedürfnisse unterschiedlicher Personengruppen, etwa von Kindern, älteren Menschen, Personen unterschiedlichen Geschlechts?

Wir wissen schon: Der Lichtbedarf unterscheidet sich durchaus zwischen Männern und Frauen und auch zwischen Menschen verschiedener Ethnien. Aber für individuelle Empfehlungen ist dieses Wissen noch nicht nutzbar. Dafür bräuchten wir erst großangelegte Kohortenstudien.

Wo gibt es beim Thema Licht gesellschaftlichen Handlungsbedarf?

Es geht vor allem um zwei Punkte: Zum einen müssen wir mehr kommunizieren; wir müssen ein breites Bewusstsein für die innere Uhr und deren gesundheitliche Auswirkungen schaffen. Zum anderen muss man eruieren, an welchen Stellen wir am meisten von Verbesserungen profitieren können. Wie kann man zum Beispiel die Lichtbedingungen von Schichtarbeitern optimieren? Allgemein ist die Beleuchtung von Arbeitsstätten ein wichtiger Punkt; schließlich verbringen wir viel Zeit auf der Arbeit. Die bestehenden Arbeitsschutzrichtlinien sind in der Regel darauf fokussiert, ob die Lichtverhältnisse geeignet für das Verrichten der Arbeit sind. Vernachlässigt werden die Auswirkungen auf die innere Uhr, die ja oft erst später auftreten. Abseits vom Arbeitsplatz lohnt es sich, Altenheime und Krankenhäuser in den Blick zu nehmen; es gibt zum Beispiel Daten, die belegen, dass auf der Intensivstation ein Wechsel von Licht und Dunkel förderlich für die Genesung ist. Auch Schulen sollte man nicht vergessen: Licht ist wichtig für eine gesunde Augenentwicklung.

Lassen sich die gesellschaftlichen Auswirkungen falscher Lichtexposition abschätzen?

Für derartige Aussagen bräuchten wir großangelegte Studien, die die Lichtexposition von Menschen in ihrem Alltag sowie deren Auswirkungen messen. Eine Schwierigkeit ist, dass Lärm-, Licht- und Luftverschmutzung meist miteinander einhergehen; daher ist es auf Basis der aktuellen Datenlage schwierig zu sagen, welche gesundheitlichen Phänomene wirklich auf falsche Lichtexposition zurückzuführen sind. Abgesehen davon sind gesundheitsökonomische Analysen nötig, etwa zu den Kosten, die Arbeitgebern und Krankenkassen durch negative Gesundheitsfolgen entstehen.

Neben der weiteren Forschung kommt es ja auch darauf an, dass das bereits vorhandene Wissen genutzt wird. Was muss getan werden, damit das Thema Licht in der Gesellschaft ankommt?

Beim Ladenburger Diskurs haben wir ausführlich effektive Strategien der Wissenschaftskommunikation diskutiert; ein White Paper haben wir bereits veröffentlicht: Wie können wir am wirkungsvollsten unsere Messages verbreiten und in die Kurrikula bringen? Wie machen wir die komplexen zugrundeliegenden biologischen Mechanismen einer Vielzahl von Interessengruppen zugänglich? Welche Multiplikatoren können dabei helfen? Eine Schwierigkeit besteht darin, dass Forschung ja immer neues Wissen generiert und sich selbst korrigiert; entsprechend müssen wir auch die Kommunikation revidieren. Manche speziellen Themen wie etwa Handylicht am Abend bekommen schon viel öffentliche Aufmerksamkeit, aber das Bewusstsein für Lichtexposition ist noch ausbaufähig. Ganz sicher ist eines: Das wird ein Langzeitprojekt.

 

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